Am letzten Samstag, den 24. März 2018, haben sich die drei Kirchenvorstände unserer Gemeinden an einem Klausurtag mit der Frage beschäftigt: „Was ist Gemeinde für dich?“
Der erste Einstieg erfolgte über ein Brainstorming zu genau dieser Frage. Alle 16 Teilnehmer*innen trugen ihre Begriffe und Ideen bei. Anschließend haben wir gemeinsam ein Cluster auf dem Fußboden gelegt:
Für die meisten unserer Kirchenvorstandsmitglieder bedeutet die Gemeinde etwas Positives wie ein zweites Zuhause, Heimat, Freude, Vertrautheit, Feste feiern, aber auch die anstrengenden Seiten wurden genannt.
Gruppenarbeit
Anschließend haben wir uns fünf Bibeltexte zum Thema in einer Gruppenarbeit angeschaut und die darin enthaltenen Bilder von Gemeinde.
- Mt 18,12-22
- Gal 3,25-29
- 1Kor 12,12-31
- Joh 10,1-18
- Joh 15,1-8
Die Ergebnisse waren zum Teil überraschend aktuell: die Einsicht in die Parallelwelt Gemeinde, die Gemeindglieder als Hirten, ein Bild mit dem wir als Kirchenvorstandsmitglieder viel anfangen konnten. Aber auch Befremdliches war dabei: die Gemeinde als richtende Instanz oder das Leistungsprinzip: wer keine Frucht bringt, wird ins Feuer geworfen…
Input Gemeinde/Kirche durch die Kirchengeschichte
Wie hat sich eigentlich der Begriff „Gemeinde“ entwickelt?
Im Alten Testament gibt es dafür zwei Begriffe: ˋedah und qahal. ˋedah steht für eine versammelte Menschenmenge und wurde von der Septuaginta, der griechischen Übersetzung des hebräischen Textes, mit synagogh übersetzt. Qahal wird für die Kultgemeinde JHWHs benutzt und in der Septuaginta mit ekklesia übersetzt.
Zu dieser jüdischen Gemeinde gehörten nur jüdische Männer (keine Frauen, keine Kinder, keine Kastraten, keine Moabiter). Diese Kultgemeinde hatte neben der Verehrung JHWHs eine wichtige Funktion: sie war Zeugin der Gesetzgebung am Sinai (Ex 24) zu dem sie in einer Art Prozession durch die Wüste pilgerte, der Einweihung des Tempels (des ersten 1Kön 8,1-9,9/2Chr 5,5-7,22 und des zweiten Esr 6,15-18) und der Verlesung des Gesetzes (Neh 8,1-12) bei der Neugründung einer staatlichen Ordnung in Israel nach dem Exil.
Im Neuen Testament wird aus der vormals ethnisch gleichförmigen Gemeinschaft ein bunter Haufenn an Juden, Heiden, Männern und Frauen, Freien und Sklaven. Dabei fehlt der griechische Begriff ekklesia in Mk, Lk und Joh (die neue Gemeinde/Kirche gründet sich ja erst). Die Synagoge ist im NT fast überwiegend das jüdische Gebetshaus (und ihre Mitglieder), in denen die Verkündigung statt findet.
Ein bedeutender Forschungsansatz ist, die frühchristlichen Gemeinden in ihren Strukturen als analog zu antiken Kultvereinigungen zu begreifen. Zu solchen Vereinigungen gehörten alle, die ihren Beitrag bezahlten, der in der Regel zum Kauf von Zutaten (vor allem teurem Fleisch) für gemeinsame Mähler oder auch für Begräbnisse der Mitglieder (je nach Verein) verwendet wurden. Der ursprünglich aus dem Alten Testament stammende Begriff ekklesia blieb jedoch. Gemeinsam war allen Gemeinden Taufe und Abendmahl und der Bezug auf Jesus Christus. Die Formierung einer einheitlichen Lehre oder Auffassung erfolgte jedoch erst nach und nach über die nächsten Jahrhunderte in Auseinandersetzung mit konkurrierenden Meinungen.
Mit dem Wachsen der Christenheit wurde ekklesia dann auch – synonym für die jüdische Kultgemeinde – eine Bezeichnung für die im WErden begriffene Institution. Mit den Krisen dieser Institution kam – in der Aufnahme frühjüdischer apokalyptischer Gedanken – die Vorstellung der transzendenten Kirche als Versammlung der Geretteten hinzu.
Kirchengebäude, die wir heute auch Kirchen nennen, gab es erst seit dem 3. Jh., aber diese wurden nicht als ekklesia bezeichnet, sondern als kyriake – „dem Herrn gehörend“.
Eine wirklich ausgefeilte Lehre von der Kirche entwickelte sich erst im Zuge des 2. Jh. Die apostolischen Väter gingen bereits davon aus, dass es die Kirche schon vor der Schöpfung gegeben habe und auf der Erde mit Adam begann. Die Kirche garantiert dabei die Weitergabe des Geistes und die richtige Lehre durch den Bischof, was besonders in der westlichen Kirche wichtig wurde. Die Kirche umfasst dann auch die, die ausgeschieden werden im Gericht.
Das Bekenntnis von Nicäa-Konstantinopel fasst die Lehre zur Gemeinde/Kirche folgendermaßen zusammen:
Ich glaube an die heilige christliche/katholische Kirche…
Damit postuliert sie eine Einheit der Gemeinden, die schon bald durch Spaltungen und Trennungen gestört wurde.
Im Mittelalter wurde die Lehre von der Kirche soweit ausgebaut, dass die Zugehörigkeit zu der katholischen Kirche und das Untertan sein unter den Papst, heilsnotwendig war. Dagegen wandte sich Luther während der Reformationsezeit. Nach seiner Auffassung ist die Kirche das eine christliche und heilige Volk, das an Christus glaubt und Sündenvergebung empfängt. Nach der Bekenntnisschrift, die Luther und Melanchthon erarbeiteten, die Augsburgische Konfession, ist die Kirche der Ort, wo das Wort und das Sakrament in der richtigen Weise gepredigt und gefeiert werden. Jeder Getaufte ist selbst Priester.
Nach Friedrich Schleiermacher (18./19. Jh.) verbindet Christus die Einzelnen durch sein Erlösungshandeln zu einer Gemeinschaft. Dabei ist die äußere Gestalt der Kirche funktional auf ihre innere Gestalt (also die unsichtbare Kirche) hingeordnet. Die Kirche ist eine ideale Gemeinschaft, von der aus durch das Wirken des Geistes alle Bereiche der Gesellschaft durchdrungen werden sollen.
In der heutigen Zeit suchen Theolog*innen nach dem richtigen Verhältnis zwischen persönlichem Glauben und individueller (Nicht)Kirchlichkeit.
Rein rechtlich ist die „Kirche eine körperschaftlich verfasste Personengemeinschaft, die den göttlichen Auftrag, auf den sie sich bezieht und aus dem sie heraus geistlich lebt, mit Wort und Sakrament, dabei gestützt durch rechtsförmig geordnete Einrichtungen und Verfahren zur Geltung zu bringen sucht.“ (Dieter Kraus, Art. Kirche. XII. Rechtlich, RGG4 Bd. 4, S. 1031)
Quellen:
- Günther Wenz, Heinrich de Wall, Andreas Grünschloß, Christian Grappe, Rolf Schäfer, Reiner Anselm, Karl Christian Felmy, Walter Altmann, Elmar Klinger, Reiner Preul, Peter Neuner, Dieter Kraus, Art. Kirche, RGG 4, Bd. 4, 997-1033.
- Thilo Alexander Rudnig, Gemeinde (AT), WiBiLex, http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/19220/, letzter Abruf 26.03.2018.
Bibel teilen mit Apg 2,42-47
Am Nachmittag haben wir uns mit der Methode „Bibel teilen“ mit Apg 2,42-47 beschäftigt:
42 Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet. 43 Es kam aber Furcht über alle Seelen und es geschahen auch viele Wunder und Zeichen durch die Apostel. 44 Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam. 45 Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte. 46 Und sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und dort in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen 47 und lobten Gott und fanden Wohlwollen beim ganzen Volk. Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden.
Diese Idealvorstellung des Lukas von der perfekten (Ur)Gemeinde, die es wohl so nie gegeben hat, kann uns als Gemeinden inspirieren. Allerdings liegt die Latte auch ziemlich hoch.
Aus dieser Bibelarbeit entstand jeweils eine Fürbitte für die Abendmahlsandacht, die unseren Tag beschloss.
Abschluss
Vorher diskutierten wir allerdings nochmal über unser Bild von Gemeinde. Was uns an diesem Tag besonders wichtig geworden ist, durften wir mit Herzen versehen. Dabei ging es besonders um die Frage, wie und ob wir überhaupt Menschen mit ruhender Kirchenmitgliedschaft in unsere Gemeinschaft integrieren können und was unsere Intention dabei ist: „Sind wir hier, weil wir glauben oder weil wir wollen, dass mehr Menschen glauben?“ Zusätzlich stellten wir fest: Wir sollten mehr Freude ausstrahlen bei allem, was wir tun und versuchen unsere Parallelwelt (unsere Sprache, verschlossene Türen, fehlende Ausstrahlung) zu öffnen. Dabei fiel das Stichwort „Willkommenskultur“, mit dem wir uns näher beschäftigen werden. Auch Denkanstöße von außen wollen wir suchen und uns mehr mit unserem Umfeld beschäftigen. Ein weiterer Punkt war die Frage zum Umgang mit Tod und Trauer in unseren Gemeinden, das wir uns für den Herbst vornehmen wollen.
Wir danken den Menschen, die den Tag vorbereitet haben und denen, die dabei waren für einen tollen und intensiven Tag!
Nicole Oesterreich