Das Abendmahl in der Kirchengeschichte

Am 14. Mai 2018 fand in der Bethanienkirche unser zweiter Abend zum Thema „Abendmahl“ statt, an dem wir uns mit den historischen Entwicklungen und Kontroversen um das Abendmahl beschäftigt haben.

Der Abend begann mit einem kleinen Meinungsbild zu einigen der wichtigsten Streitfragen, die im Laufe der Kirchengeschichte die Diskussionen bestimmt haben:

  • Brot und Wein verwandeln sich bei Einsetzung des Abendmahls tatsächlich / symbolisch / nicht in den Leib und das Blut Christi.
  • Ob das Abendmahl wirksam ist oder nicht, hängt davon ab, ob derjenige, der die Abendmahlsfeier leitet, sich in Glauben und Leben als würdig erwiesen hat (Ja / Nein).
  • Regelmäßig am Abendmahl teilzunehmen ist für eine_n Christ_in notwendig / empfehlenswert / unnütz.
  • Da im Brot Leib und Blut Christi enthalten sind, kann man das Abendmahl auch feiern, ohne dass man den Kelch empfängt (Ja / Nein).
  • Das Abendmahl wirkt auch bei Menschen ohne christlichen Glauben (Ja / Nein).
  • Bei der Abendmahlsfeier wird das von Christus bei seinem Tod am Kreuz gebrachte Opfer wiederholt (Ja / Nein).

Alle Teilnehmer_innen des Abends konnten sich mittels Klebepunkten zu diesen auf Plakaten geschriebenen Fragen positionieren. Die Ergebnisse können den beigefügten Bildern entnommen werden. Im Anschluss begann der Durchgang durch die Epochen der Kirchengeschichte.

1. Antike

In den christlichen Gemeinden der ersten drei Jahrhunderte nach Christus dürfte eine große Vielfalt in Verständnis und Praxis des Abendmahls geherrscht haben, überraschenderweise scheint es darüber aber kaum zu Streit gekommen zu sein. Die Quellen zeigen, dass das Abendmahl ein regelmäßiger fester Bestandteil des kirchlichen Lebens war und es früh zu einer Ablösung einer rituellen Mahlfeier (Eucharistie) von der gemeinsam gehaltenen Mahlzeit (Agape) kam. Eine erste entfaltetere Abendmahlstheologie bietet der Kirchenvater Ignatius († um 110), der für das Abendmahl die berühmten Bezeichnungen „Heilmittel zur Unsterblichkeit“ (pharmakon athanasias) und „Gegengift gegen den Tod“ (antidotos tou me apothanein) prägte sowie das Fernhalten vom Abendmahl und eine symbolisches Verständnis kritisierte. Für ein realistisches Verständnis – also für die tatsächliche Anwesenheit des Leibes und Blutes Christi in Brot und Wein – argumentierten auch andere Kirchenväter wie Justin (100–165) und Irenäus (135–202), welche die Begriffe „Wandlung“ und „Opfer“ in die Abendmahlstheologie eintrugen. Das auch in den Gemeinden oft ein – theologisch wohl weniger reflektiertes – realistisches Verständnis vorherrschte zeigt sich etwa in den erbaulichen Schriften des Johannes Chrysostomos (344/9–407). Dem Gegenüber existierten durchaus auch Theologen, die – wie etwa Origenes (185–254)  – ein eher symbolisches Verständnis einer rein ideellen Gegenwart Christi vertraten. In diesem Umfeld bildete sich in der Ostkirche die bis heute von der Orthodoxie praktizierte Form des Abendmahls als Mysteriendrama heraus, welches zwischen Realismus und Symbolismus changiert. In der Westkirche betonte man stärker den Aspekt der Wiederholung des Kreuzesopfer in der Mahlfeier und konnte deshalb auf eine realistische Deutung schwerlich verzichten. Überraschend erscheint daher, dass der wichtigste westliche Kirchenvater – Augustinus (354–430) – ein eher symbolisches Verständnis vertrat. Dieser Umstand erklärt sich aus seiner Nähe zur Philosophie des Neuplatonismus, welche viele antike christliche Denker teilten. Da für den Neuplatonismus jedes Abbild unmittelbaren Anteil an seinem Urbild hat, ist ein Symbol kaum weniger wirklich als das, was es symbolisiert. Die für eine eher von Aristoteles geprägte Philosophie und Theologie entscheidende Unterscheidung zwischen Symbolismus und Realismus ist für diese Denkschule somit irrelevant. Die Abendmahlslehre des Augustinus blieb somit anschlussfähig für die sich im Westen zunehmend durchsetzende streng realistische Auffassung. Die wichtigste Abendmahls- oder vielmehr Sakraments-Kontroverse der Antike entstand daher nicht an dieser Bruchlinie sondern an der Frage nach der Würde der Spender der Sakramente. Da nach der Anerkennung des Christentums durch Kaiser Konstantin (270/88–337) zahlreiche Priester in ihr Amt zurückkehrten, die das Christentum in den vorangegangen Verfolgungen verleugnet hatten, sprach sich der karthagische Kleriker Donatus (315–355) gegen die Gültigkeit der von diesen sogenannten lapsi gespendeten Sakramenten aus. In dem folgenden Streit lehnten die Hauptströmungen des Christentums diese als Donatismus bekannte Lehre ab und bekennen sich – bis heute – dazu, dass die Sakramente kraft der der Einsetzung Christi und ihres ordnungsgemäßen Vollzugs (ex opere operato) unabhängig von der Würde des Spenders wirksam sind.

2. Mittelalter

Unter Papst Gregor dem Großen (ca. 540–604) setzte sich die Lehre vom Messopfer durch. Entscheidend ist dabei die im Rahmen der Abendmahlsfeier vollzogene Wiederholung des Opfertodes Christi und nicht die gemeinsame Mahlfeier. Dadurch wurden – und sind bis heute in der katholischen Kirche – Messen ohne Anwesenheit der Gemeinde möglich (z. B. Seelmessen für Verstorbene). In Auseinandersetzungen wie sie etwa die Mönche Radbertus (ca. 785 – ca. 865) und Ratramnus († ca. 868) aus der Abtei Corbie führten konnte der alte Streit um realistisches oder symbolisches Verständnis des Abendmahls wieder aufbrechen, wobei sich nun in der Regel schnell und nachhaltig die von der Kirchenhierarchie forcierte realistische Auffassung durchsetzte. Dies gilt auch im Fall Berengars von Tours († 1088), der mit Aristoteles entgegen der von der Amtskirche vertretenen Meinung argumentiert hatte, dass eine Wandlung der Substanz (des Wesenskerns) ohne eine Änderung der Akzidentien (äußeren Merkmale) nicht vorstellbar sei. In seinem 1059 von Papst Nikolaus II. (990/5–1061) erzwungenen Widerruf musste er äußerst bildhaft bekennen, dass „Brot und Wein, die auf dem Altar liegen, nach der Konsekration nicht nur ein Sakrament sind, sondern auch der wahre Leib und das Blut unseres Herrn Jesu Christi, und dass sie fühlbar, nicht nur sakramental, sondern wahrhaft von den Händen des Priesters behandelt und gebrochen und von den Zähne der Gläubigen zermalmt werden.“

Auch für das Morgenländische Schisma zwischen Ost- (Orthodoxie) und Westkirche (Katholizismus) von 1054 spielte die Abendmahls Lehre zumindest eine Nebenrolle: Zu den unversöhnlichen Streitpunkten gehörte hier die Frage, ob man wie im Westen ungesäuertes oder wie im Osten gesäuertes Brot für die Eucharistie verwenden sollte.

Ab dem 13. Jahrhundert entwickelte sich im Westen die sogenannte Konkomitanzlehre, also die Auffassung, dass im Brot Leib und Blut (da es Teil des Leibs ist) Christi anwesend sind und somit auch ein Abendmahl bei dem man nur das Brot empfängt vollgültig ist. Da man befürchtete die Gläubigen könnten beim Empfang des Kelches versehentlich das Blut Christi verschütten, ging man infolgedessen zunehmend dazu über, den Kelch nicht mehr an die Laien auszuteilen, die nun nur noch die Hostie empfingen.

Insgesamt führten die Durchsetzung von Messopfer und Realismus zu einer enormen Hochschätzung des Abendmahls und seiner Elemente, die sich an zahlreich berichteten Hostienwundern (häufig heilsam wirkende blutende Hostien) sowie an der Praxis der Augenkommunion (Teilnahme am Abendmahl durch bloße Betrachtung der gewandelten Hostie) und der Popularität des Fronleichnamsfestes zeigte. Nur gelegentlich kam es zu Widerspruch gegen die vorherrschende kirchliche Lehre: So kritisierte etwa Johannes Duns Scotus (ca. 1266–1308) das allzu magische Verständnis einer Verwandlung der Abendmahlselemente und die später als „vorreformatorisch“ bezeichneten Theologen John Wyclif (vor 1330–1384) und Jan Hus (ca. 1370–1415) setzten sich für die Austeilung des Kelchs an die Laien ein.

3. Reformation

Die Reformationszeit selbst war dann wesentlich mitgeprägt von tiefgreifenden Auseinandersetzungen um die Abendmahlslehre, die bis heute die christlichen Kirchen prägen. Aus diesem Grund haben wir uns mit dieser Epoche besonders beschäftigt und zeitgenössische Quellen studiert. Aufgeteilt in drei Gruppen haben wir die Aussagen zum Abendmahl in zentralen Bekenntnistexten der drei infolge der Reformation entstehenden Konfessionen untersucht. Die entsprechenden Texte können Sie hier nachlesen:

Confessio Augustana (Luthertum)

Heidelberger Katechismus (Reformierte Kirche)

Tridentinum (Römisch-katholische Kirche)

Im anschließenden Austausch konnten wesentliche Unterschiede zwischen den Kirchen ausgemacht werden. So betonen Lutheraner und Katholiken die tatsächliche Anwesenheit des Leibs und Bluts Christi in den Abendmahlselementen (Realpräsenz) während die Reformierten von einer symbolischen Gegenwart im Rahmen der Abendmahlsfeier ausgehen. Einig sind sich die reformatorischen Kirchen hingegen in der Ablehnung des vom Katholizismus gelehrten Messopfers: Das von Christus am Kreuz gebrachte Opfer ist für sie ausreichend – es kann in der Abendmahlsfeier zwar angeeignet, aber nicht wiederholt werden. Es gibt allerdings auch Übereinstimmungen zwischen allen drei Konfessionen, wie etwa die Ablehnung des Donatismus. Mittels der Übersichten vom Anfang des Abends haben wir dann die Konfessionen in Form von Porträts Martin Luthers (1483–1546), Johannes Calvins (1509–1564) und des Papstes ihrer jeweiligen Meinung zu den zentralen Fragestellungen zugeordnet (sh. die Bilder oben).

4. Neuzeit

Im frühneuzeitlichen Luthertum genießt das Abendmahl dann eine enorme Wertschätzung. Es ist fester Bestandteil des lutherischen Gemeindelebens und Gegenstand theologischer Betrachtung und frommer Übung. Nicht zuletzt der Streit um die Realpräsenz Christi in den Abendmahlselementen führt dazu, dass die lutherischen Kirchen dem Calvinismus zum Teil mit mindestens ebenso scharfer Ablehnung entgegenstehen, wie der römisch-katholischen Kirche.

Auch im Pietismus bleibt die Hochschätzung des Abendmahls weitgehend erhalten, wobei nun aber gegenüber der Selbstwirksamkeit des Sakraments die Notwendigkeit der Bereitung zum Abendmahl und der Nutzung seiner Früchte im Alltag betont werden.

Im Zuge der Aufklärung entfaltet sich ein breites Spektrum an Lehrmeinungen, dass von einer stillschweigenden Beibehaltung bis zur radikalen Ablehnung von Sühnopfer Christi und Realpräsenz im Abendmahl reicht. Die Debatten darum werden teilweise erbittert geführt, schlagen sich aber an der Basis kaum nieder: Die Abendmahlspraxis der Gemeinden bleibt bis ins 20. Jahrhundert hinein weitgehend unverändert, zumal die naturmystischen Sehnsüchte des Idealismus und der Romantik im 19. Jahrhundert dem sakramentalen Charakter eine neue Plausibilität verleihen.

Die scharfen theologischen Dispute der Reformationszeit waren aber seit der Aufklärung für viele Menschen nicht mehr plausibel, wie nicht zuletzt die im 19. Jahrhundert betriebenen Bemühungen um Unionen zwischen lutherischen und reformierten Landeskirchen zeigen. Auch wenn sich dagegen in den Gemeinden und bei vielen Theologen vor allem an der Frage des Abendmahls Widerstand regt, kommt es doch zu zahlreichen solcher Vereinigungen.

Die Erfolge der Unionsbestrebungen sowie die ökumenische Bewegung führen im 20. Jahrhundert dazu, dass viele in den Kirchen sich verstärkt um einen Abbau der Streitfragen und Uneinigkeiten in der Abendmahlslehre bemühen. Zumindest zwischen den evangelischen Konfessionen konnten dabei wesentliche Erfolge erzielt werden. Die Arnoldshainer Thesen von 1957 und vor allem die daraus hervorgegangene Leuenberger Konkordie von 1973 ermöglichen heute die volle Abendmahlsgemeinschaft zwischen Lutheranern und Reformierten. Mit der Lektüre dieses für die gegenwärtige Lehre und Praxis des Abendmahls grundlegenden Textes haben wir den Themenabend beschlossen.

Leuenberger Konkordie (1973)